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Zweites Biedermeier

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  • Somerville Offline
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Zweites Biedermeier

Beitrag von Somerville »

Hallo zusammen,

ich bin Neumitglied und hoffe, es ist ok, auch allgemeine Fragen zu stellen - ich hätte nämlich die Folgende:

Ich stosse öfters auf hübsche Biedermeiermöbel aus der "zweiten Zeit", also so um 1900. Ich bin kein Sammler und kaufe Möbel schon zum Gebrauch, aber will auch die Möglichkeit haben, später einmal wieder zu verkaufen. Ich habe bis jetzt nicht ganz verstanden, was man von dieser zweiten Biedermeiezeit zu halten hat. Ist das nicht eigentlich Etikettenschwindel und auch nur eine frühe Repro? Sind solche Möbel aus Sammler- bzw. kunsthistorischer Sicht belanglos? Und natürlich ganz konkret, wie gross ist der Preisabschlag, den man im Vergleich zu den echten Möbeln von vor 1840 veranschlagen sollte? Bei Antiquitätenhändlern beobachte ich oft ein ähnliches Preisniveau für Stücke aus beiden Zeiten - das kann doch eigentlich nicht stimmen?

Ich würde mich sehr über eine Auskunft freuen (oder auch nur aussagekräftige Quellen zum Weiterlesen, bei der Forumssuche hatte ich nicht viel gefunden).

LG, Felix
  • marker Offline
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Zweites Biedermeier

Beitrag von marker »

Guten Tag, allgemeine Frage - allgemeine Antwort. Nach den floralen Exzessen des frühen Jugendstils hatten sich das viele (Entwerfer und dann auch Kunden) übergesehen und wünschten sich etwas Schlichteres. Da kam die Rückbesinnung auf die Zeit um und nach 1800 gerade recht. Zumal das auch nationalistische Gründe hatte: es jährten sich zum 200. Male die Befreiungskriege und vor dem Hintergrund des starken (nicht nur deutschen, auch europäischen) Nationalismus vor 1914 kam der Rückbezug auf den damaligen Zeitstil, das schlichte preußische, angeblich "echt deutsche" gerade recht. Daher bezogen sich auch namhafte Entwerfer der Zeit gerne auf den preußschen Klassizismus und die Zeit danach, was heute gerne pauschal als "Biedermeier" bezeichnet wird. Oft finden sich da auch eher Elemente des (französischen) Empire, was man aber aus nationalistische Gründen lieber nicht so laut sagte. Man hat also nach 1900 (genauer: das begann so um 1905) eine deutliche Rückbesinnung auf derartige Stilelemente, oft in bunter Mischung. Wenn das ein bedeutender Entwerfer war, ist das heute noch Einiges wert, wenn das Industrie-Massenware war (und das war und ist die Regel), ist es durchaus dekorativ, aber von überschaubarem Wert. Es hilft nix: man muß bei jedem Einzelstück genau sehen, was es ist und woher es kommt. Deshalb helfen allgemeine Literaturangaben nicht weiter. Und: Fake wird es erst dann, wenn der Verkäufer falsche Dinge behauptet. Die Wiederverwendung älterer Stilelemente ist in der Kunstgeschichte Tradition und durchaus akzeptiert. Gruß marker
  • Somerville Offline
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Zweites Biedermeier

Beitrag von Somerville »

Hallo marker,

vielen Dank für die schnelle und interessante Antwort. Ich denke von wirklich "bedeutenden" Entwerfern kann man in dem Preisbereich, der für mich in Frage kommt (<5k für kleinere Möbel) wahrscheinlich sowieso nie sprechen. Wegen richtiger Fakes habe ich allerdings auch keine Sorge, ich schaue ohnehin nur bei den einschlägigen Händlern/Restauratoren, wie sie auch hier im Forum häufiger als Referenz herangezogen werden. Ich finde nur komisch, dass auch dort reihenweise Ware von ca. 1900 als Biedermeier verkauft werden, während spezialisierte Händler (sagen wir mal bspw. Hummel in Freiburg) ganz konsequent nur die Originalperiode anbieten. Ich frage mich, ob das "zweite Biedermeier" aus Kennersicht ein bisschen so ist, wie wenn man ganz stolz von seinem alten Porsche spricht - und dann ist es ein 924er :)

Vielleicht ein bisschen naiv - ich habe zwar allgemein ein ganz gutes "Auge" aber keine wirkliche Fachkenntnis - was sind denn Hinweise auf die von dir angesprochene "Industrie-Massenware" aus der Zeit? Was ich so anschaue (meist massive Edelhölzer, aus meiner Sicht saubere handwerkliche Verarbeitung der Schubladen ud Rücken etc.) sieht eigentlich immer ganz gut aus... Und ohne das hier zu einer Kaufberatung machen zu wollen (ich habe eh nichts konkretes im Auge): wenn ein Objekt von 1900 angeboten wird, das mir als Gebrauchsmöbel gut gefällt und qualitativ in Ordnung ist, aber preislich in einem Bereich zu dem ich auch aus den Rahmendaten vergleichbare (Grösse, Material, Zustand) Objekte von 1830 sehe - dann rechtfertigt allein die Periode durchaus eine deutliche Nachverhandlung, oder?

Besten Dank für die freundliche Aufnahme hier im Forum und viele Grüsse, Felix
  • marker Offline
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Zweites Biedermeier

Beitrag von marker »

Guten Tag, da gibt es wohl gewisse semantische Unschärfen. Haben die Händler gesagt, das Stück stamme aus der Zeit des Biedermeier oder sei im Stil des Biedermeier ? Das kann ja den Unterschied machen. Genauso muß man - als Händler wie als Käufer - immer den Unterschied zwischen Wert und Preis beachten. Das wird gerne als eins gesehen. Der Händler nennt (oder sollte zumindest) zuerst einmal den Preis, der Käufer entscheidet, ob es ihm das wert ist. Zu vermuten, der Händler nenne einen "falschen", weil dem Käufer zu hohen Preis, ist nicht zielführend. Was die Qualität früherer Massenware angeht - da sind wir durch dieses skandinavische Möbelhaus mit den vier Buchstaben etwas korrumpiert. Früher war auch "Massenware" solide und handwerklich sauber. Ist man so fast gar nicht mehr gewöhnt. Woran man die erkennt - so wie wir alle uns das erschlossen haben: jahrelang sehen, vergleichen, irren und aus den Irrtümern Schlüsse ziehen. Gruss marker
  • Somerville Offline
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Zweites Biedermeier

Beitrag von Somerville »

Hallo marker, danke für Deine nochmalige Antwort.

Nein, natürlich wird nicht fälschlich auf die eigentliche Biedermeierzeit verweisen, sondern immer etwas verklausuliert vom Biedermeierstil gesprochen, und auf Nachfrage ist es dann meist diese "zweite" Zeit um 1900. Mir ist eben nur aufgefallen, dass die anspruchsvollsten Händler so etwas nicht machen, und grundsätzlich nur Ware aus der Originalzeit anbieten. Daher meine Frage, ob unter wirklichen Kennern die späteren Möbel im Biedermeierstil grds. als irrelevant gelten (wie gesagt, wir reden nicht von absoluter Spitzenware oder bedeutenden Entwerfern, sondern von sehr guter, aber normaler Qualität).

Die Preis/Wert-Diskussion finde ich ein bisschen esoterisch - meines Erachtens kann man den Wert natürlich objektiv ankern und den Preis daran messen, und dementsprechend kann der Preis auch objektiv zu hoch gegriffen sein. Der Ankerpunkt wäre in dem Segment, dass mich interessiert, der Antiquitätenmarkt unter Sammlern und Profis, und der ist ja bei Biedermeiermöbeln noch am ehesten liquide. Ich kenne mich in diesem Markt dann aber doch nicht gut genug aus, daher meine Frage ob im Grundsatz die späteren Möbel normalerweise einen pauschalen Abschlag gegenüber der Originalperiode rechtfertigen.
Woran man die erkennt - so wie wir alle uns das erschlossen haben: jahrelang sehen, vergleichen, irren und aus den Irrtümern Schlüsse ziehen.
Ich weiss das ist nett gemeint, aber das ist so natürlich gewissermassen eine Nullaussage. Ich habe schon ein bisschen Erfahrung mit Möbeln und orientiere mich natürlich nicht an moderner Billigware, das ist ja genau der Punkt der es schwierig macht, gute Massen- oder Serienfertigung von 1905 als solche zu erkennen. Konkret gefragt - wo schaust du genau hin wenn du so ein Möbel untersuchst? Gibt es unverkennbare Merkmale in der Fertigung, die hier Hinweise geben (Zierelemente, Verarbeitung des Innenlebens etc.)? Wie gesagt, ich freue mich auch über weiterführende Links oder Literaturhinweise.
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